2 min read

Der Urwald vor der Haustüre

Der Urwald vor der Haustüre
Foto: Erikablüte Haiminger Forchet (Foto: Marianne Götsch)

Wenn man hierzulande vom Urwald spricht, denkt man unweigerlich an tropische Regenwälder mit exotischen Tieren und Pflanzen. Urwälder gibt es aber auch bei uns, allerdings nur mehr in sehr geringem Ausmaß. Ein Urwald ist ein unberührtes Waldgebiet, das in vielen tausend Jahren ohne den Einfluss von Menschen gewachsen ist. Hier wächst also alles so, wie die Natur es will. Im Unterschied zu anderen Wäldern werden Urwälder nicht oder nur sehr wenig vom Menschen genutzt. Im Tiroler Oberland zählt das Radurschltal mit seinen uralten Zirbenwäldern zu den Relikten ursprünglicher alpiner Vegetation. Sie sind Teil der größten geschlossenen Zirbenbestände der Ostalpen.

Ein ganz besonderer Urwald im mittleren Oberinntal ist das Forchet. Seinen unverwechselbaren Charakter verdankt der Forchetwald der Entstehung durch einen riesigen Felssturz vom Tschirgant vor etwa 3000 Jahren. Große Felsblöcke geben Zeugnis von diesem Elementarereignis. Seit drei Jahrtausenden hat sich der Wald kaum verändert. Das liegt einerseits daran, dass eine forstliche Bewirtschaftung in vielen Bereichen schwierig ist. Gleichzeitig schränkt die geringe Humusschicht das Wachstum der Bäume ein. Der sogenannte Schneeheide-Kiefernwald verdankt seinen Namen den dominierenden Pflanzenarten und bildet einen ökologisch wertvollen und einzigartigen Lebensraum, der eine große Zahl geschützter Tier- und Pflanzenarten beherbergt. Während der größere Teil des Forchets auf Roppener und Sautner Gemeindegebiet bereits unter Schutz steht, ist das Haiminger Forchet den Begehrlichkeiten der lokalen Politik schutzlos ausgesetzt. Dabei ist der Talwald in unmittelbarer Nähe der Siedlungen ein einzigartiges Erholungsgebiet für die Bevölkerung der Region. Die Gemeinde ist zu hundert Prozent Eigentümer des Waldgebietes. Seit Jahren dringen Siedlungs- und Gewerbezonen immer weiter in den wertvollen Naturraum vor. Der flächenzehrende Bau des Handle-Gebäudes mitten im Waldgebiet wurde durch die Initiative engagierter Gemeindebürger:innen in letzter Minute verhindert. Doch die Abholzung des Forchet für Gewerbe- und Siedlungsflächen hat damit noch lange kein Ende gefunden. Im neuen Örtlichen Raumordnungskonzept wurde soeben die Umwidmung von weiteren 12 ha freigegeben. Jetzt soll eine 4000 m2 große Halle am Rand des Forchetwaldes gebaut werden. Der Landesumweltanwalt hat bereits Einspruch dagegen erhoben.

Doppelmoral und kleinräumige Aktionen

Die Zerstörung des Amazonas Regenwaldes durch Brandrodung erregt auch hierzulande die Gemüter. Überraschend, dass sein Schutz für viele Menschen einen höheren Stellenwert zu haben scheint als der Erhalt intakter Naturlandschaften vor der eigenen Haustür.  Leider werden Landschaften noch immer in erster Linie nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen beurteilt. Nur dort, wo sich die landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche Nutzung nicht lohnt, darf sich Natur frei entfalten. Die höchste Rendite aber verspricht die Aufschließung von Siedlungsgebiet. Der Druck auf die letzten noch nicht verbauten Flächen des Inntales steigt permanent.

Es gibt aber auch gut gemeinte Aktionen. So haben sich mehrere Gemeinden des mittleren Oberinntales zur Aktion "Das Inntal summt" zusammengetan. Nicht genutzte Flächen werden mit Wiesenblumen bepflanzt, um Futter für die Bienen bereit zu stellen. Waren Blumenwiesen noch vor wenigen Jahrzehnten natürlicher Bestandteil unserer Kulturlandschaft, so bedarf es heute schon fachkundiger Anleitung, um diesem Vorbild nachzueifern. Die Bemühungen sind wohl nur der sprichwörtliche winzige Tropfen auf den heißen Stein, sie sind aber geeignet, das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Bedeutung von artenreichen Wiesen zu stärken. Effizienter ist es allemal, vorhandene, noch intakte Lebensräume unter Schutz zu stellen. Dies gilt insbesondere für das Forchet, einem der letzten Reste eines ursprünglichen Talwaldes.

Noch ist nicht allen Bewohnern der Region bewusst, welches Kleinod sie direkt vor ihrer Haustür besitzen, doch in immer breiteren Schichten der Bevölkerung setzt sich die Einstellung durch, dass Natur einen Wert an sich darstellt, unabhängig vom ökonomischen Nutzen.